Nun ja, Demokratie ist halt anstrengend und nicht immer hocheffizient. Die Teilnehmer waren aufgefordert, Gefahrenstellen zu benennen und die von anderen benannten Gefahrenstellen zu bewerten. Die 20 höchstbewerteten Stellen wollte der Senat angehen. Bis auf das "angehen" ist das so passiert. Ob Du jetzt eine der in die Top-20 gerankten Stellen als "Nett, aber ziemlich irrelevant" bewertest ist genau das: irrelevant. Ein Haufen anderer Leute sehen das nämlich offenbar andes. Bei der Bundestagswahl wird ja auch nicht automatisch der oder die Kanzler, den Du gut findest - dieses Verfahren nennt man Demokratie. Ansonsten wäre es eine Diktatur durch Pibach.

Eine spannende Frage wäre noch, ob Du überhaupt selbst mitgemacht hast - andernfalls hast Du nämlich schon gleich gar keinen Grund zum meckern...
Natürlich hat das Verfahren Schwächen: Dass es aufgrund der Vielzahl an Meldungen (5144) zu Duplikaten kommen würde war absehbar - kaum einer wird die alle durchgelesen haben. Zum zweiten wurde explizit und exklusiv nach Kreuzungen und Einmündungsbereichen gefragt:
Vom 12. November 2013 bis zum 10. Dezember 2013 hatten Sie die Möglichkeit, Kreuzungs- und Einmündungsbereiche in Berlin zu benennen, an denen Sie häufiger Konfliktsituationen beim Abbiegen erleben oder an denen Sie sich als Radfahrer oder Radfahrerin besonders unsicher fühlen. Ihre zahlreichen Hinweise haben geholfen, einen Überblick über Kreuzungen und Einmündungen zu gewinnen, an denen es aus Sicht von Radfahrerinnen und Radfahrern häufig zu Abbiegekonflikten kommt.
https://radsicherheit.berlin.de/diskussion?page=1
Das hat die Teilnehmer aber nicht davon abgehalten, tausende von Meldungen zu anderen Stellen zu machen. Jetzt standen die Auswerter natürlich in dem Dilemma, entweder alles rauszuschmeissen, was keine Kreuzung oder Einmündung ist (was vermutlich viel Gemecker zur Folge gehabt hätte) oder eben nicht (was sie gemacht haben). Sie haben daher die salomonische Lösung gefunden, zwei Listen zu machen: Eine für Abbiegen und eine für "Sonstiges". Warum wurde überhaupt nach Abbiegekonflikten gefragt? Vermutlich deswegen, weil das die Hauptunfallsituation zwischen Radfahrern und Autofahrern ist. Wenn jetzt "das Volk" irgendetwas hochwählt, was vielleicht absolut gesehen nicht sehr wichtig ist dann ist das so.
Unfälle beim Abbiegen mit Pkw- bzw. Lkw-Beteiligung sind eine häufige Ursache für zum Teil schwere Verkehrsunfälle mit Fahrradfahrern. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt erarbeitet aktuell einen maßnahmen- und praxisorientierten Leitfaden zur Vermeidung solcher Abbiegeunfälle. (...) Das Beteiligungsverfahren bildet einen wichtigen Bestandteil dieses Projekts.(...)Ziel ist es, einen Überblick über Berliner Kreuzungen/Einmündungen oder Bereiche von Kreuzungen/Einmündungen zu gewinnen, die aus Sicht von Radfahrerinnen und Radfahrern mögliche Konfliktschwerpunkte sind.
https://radsicherheit.berlin.de/informa ... um-geht-es
Was den Herrmannplatz angeht: Der ist bekanntlich ein vollfächiges Deseaster, da gibt es keine einfachen, leichtgewichtigen Lösungen. Zumal der Verkehr ja nur eines der Probleme da ist.
Für die nicht Ortskundigen: Der Herrmannplatz ist ein sehr belebter und verkehrsreicher Platz an der Grenze zwischen Kreuzberg und Neukölln, an dem unter anderem das (glaube ich) älteste Kaufhaus Deutschlands steht - Karstadt am Herrmannplatz. Ausserdem treffen dort mit Sonnenallee, Karl-Marx-Strasse, Kottbusser Damm, Herrmannstrasse, Hasenheide und Urbanstrasse gleich sechs vielbefahrene, merhrspurige Strassen aufeinander, zwischen denen die Verkehrsteilnehmer munter wechseln wollen. Die noch dazu in ihren Verhaltensweisen die Aggregierung zwischen Kreuzberger- und Neuköllner Verkehrsanarchie sind, gepaart mit dem Durchgangsverkehr aus den Randbezirken sowie den Landeiern aus diversen südlich von Berlin gelegenen Gemeinden. Es gibt einen U-Bahnhof, zahlreiche Bushaltestellen stark frequentierter Linien, einen Taxihalteplatz, einen Markt sowie rund um den Platz zahlreiche Geschäfte, die nicht nur Publikums- sondern auch Lieferverkehr haben. Ausserdem hat der Platz ein Problem mit der Alkoholiker- und Drogenszene. Die Verkehrsführung ist rein auf Autos zugeschnitten ohne Rücksicht auf Fussgänger oder Radler und auch absolut schon ziemlich kaputt mit mehrspurigen, teilweisee uneindeutigen Abbiegespuren und teilweise benutzungspflichtigen, aber schon allein rechtlich unzumutbaren Radwegen, die noch dazu das Queren des Platzes aufgrund der verschlungen Streckenführung und diverser Ampeln deutlich verlängern, weswegen sie auch kaum einer benutzt. Sprich: Es ist eng, es ist laut, es ist gefährlich.
Das alles ist seit Jahren bekannt und alle sind sich einig, dass da dringend etwas geschehen muss - allerdings stolpern Senat und die Bezirke Neukölln und Kreuzberg da immer noch über ihre eigenen Füsse, Ende nicht absehbar:
14.08.2008:
Hermannplatz soll zur Hälfte verkehrsfrei werden
Das Bezirksamt Neukölln plant für die nächsten Jahre eine "Verkehrsbündelung", um das Areal für Fußgänger attraktiver zu machen. (...) Der Straßenverkehr soll „gebündelt“ werden, um den Platz für Fußgänger attraktiver zu machen. (...) Jetzt gibt es zu beiden Seiten des Hermannplatzes je drei Spuren in entgegengesetzter Richtung. Künftig könnte es nur auf der westlichen Seite, vor Karstadt, eine Fahrbahn mit je zwei Spuren pro Richtung geben. Dirk Faulenbach vom Stadtplanungsamt spricht von einem „extrem frühen Planungsstadium“, die Umgestaltung werde sich vor 2010 nicht verwirklichen lassen.(...)
http://www.tagesspiegel.de/berlin/stadt ... 00434.html
31.05.2012:
Schon 2009 kündigte Baustadtrat Thomas Blesing (SPD) den Umbau des Hermannplatzes an – für 2012. Der Fußgängerbereich soll auf die südöstliche Seite verschoben, alle Fahrspuren auf die nordwestliche Seite vor die Karstadt-Filiale verlegt werden. Zehn Millionen werde das kosten, hatte der Baustadtrat 2009 geschätzt. Ein wichtiges Vorhaben. „Die Verkehrsknotenpunkte an den beiden Enden des Platzes sind die Unfallschwerpunkte im Bezirk Neukölln“, sagt Blesing. Das soll sich durch den Umbau ändern.(...) Doch jetzt, im Jahr 2012, ist weit und breit nichts davon zu sehen. Fragt man Blesing, warum nicht, hört man eine lange Erklärung über die „notwendige Verschiebung nach hinten.“ Er spricht über die Finanznöte des Bezirks, schwierige Absprachen mit der Senatsverwaltung, Lärm- und Umweltgutachten, Investitionspläne und die ebenfalls schwierige Kooperation mit dem Nachbarbezirk Kreuzberg, der ja immerhin unmittelbar an den Hermannplatz grenze und für die Einmündungen des Kottbusser Damms und der Urbanstraße zuständig sei. (...)
http://www.tagesspiegel.de/berlin/platz ... 888-2.html
14.10.2014 Umbaupläne werden nicht umgesetzt - Seit acht Jahren tut sich nichts am Hermannplatz
Fahrspuren sollten verschwinden, doch dann gab es Probleme – und die halten bis heute an. (...) Seit acht Jahren soll der Hermannplatz umgebaut werden. Geschehen ist nichts – und es wird offenbar auf absehbare Zeit nichts geschehen. Dies geht aus einer bislang unveröffentlichten Antwort der Stadtentwicklungsverwaltung auf eine parlamentarische Anfrage hervor. Gefragt hatte der Piratenabgeordnete Andreas Baum.(...) Wegen der Trödelei der Bezirke will der Senat nun selbst tätig werden, teilte Gaebler weiter mit: Die Kreuzung Hasenheide – Karl-Marx-Straße / Hermannplatz / Hermannstraße soll in kleinerem Rahmen umgebaut werden, um die Sicherheit zu verbessern. Dabei soll auch die Radwegbenutzungspflicht aufgehoben werden. Seit 2006 soll der Hermannplatz nun schon umgebaut werden. (...)Im Jahr 2013 hatte der Senat als Baubeginn für die Umgestaltung das Jahr 2016 genannt, nun ist der „Zeitraum nicht bekannt“.
http://www.tagesspiegel.de/berlin/umbau ... 28528.html
Dass da in der Onlinebefragung nicht die Patentlösung für 3 Euro Fuffzig rauskommt wundert mich jetzt nicht... Da sind einfach sehr viele Faktoren im Spiel, die berücksichtigt werden müssen und das ist weder schnell noch umsonst zu haben. Dennoch würde eine kleinteilige Lösung wie etwa das Abschaffen der Radwegebenutzungspflicht von Sonnenalle Richtung Urbanstrasse und das markieren einer Radquerung in rot auf der Fahrbahn (wie in zahlreichen anderen Städten üblich) schon eine deutliche Entlastung für Radfahrer schaffen.
Interessieren würde mich allerdings was
daraus geworden ist - die Befragung war ja nicht alles sondern nur Teil eines grösseren Programms:
Parallel zu diesem Online-Dialog wird von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt gemeinsam mit Experten ein maßnahmen- und praxisorientierter Leitfaden zur Vermeidung von Abbiegeunfällen mit PKW- und LKW-Beteiligung erarbeitet. Darin werden zahlreiche Maßnahmen untersucht, die in anderen deutschen und europäischen Städten zur Verhinderung und Entschärfung solcher Abbiegeunfälle zur Anwendung kommen. Einzelne dieser Maßnahmen werden im Rahmen von pilothaften Vorhaben auf ihren Nutzen und ihre Wirkung hin geprüft.
https://radsicherheit.berlin.de/informa ... diskutiert
Davon hab ich nämllich bislang nichts gehört und gesehen...