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Re: Radfahren in Berlin

Verfasst: Di Okt 13, 2015 11:10 am
von berlinonaut
Pibach hat geschrieben:
Da scheint zumindest ein Bewusstsein dafür zu bestehen, dass die Radschnellwege "vorrangig ... abseits der Korridore des Schienenverkehrs" liegen sollten.
Was wie schon gesagt ausser Dir niemand fordert. Und es ist der Unterschied zwischen Theorie und Prxis: Wollen tut man das vermutlich, um Gegenden, die vom ÖPNV vernachlässigt sind alternativ per Rad anzubinden als Alternative zum Auto. Das ist ja grundsätzlich gut. Aber warum das eine tun und das andere lassen? Und woher den Platz für eine vernünftige Radroute nehmen, die ampel-, kreuzungs- und konfliktfrei flottes, komfortables Fortkommen ermöglicht? Da wird es dann schnell problematisch...

Hier http://www.stadtentwicklung.berlin.de/v ... ategie.pdf findet sich auf S. 13 als Ziel:
Das Radfahren auf längeren Wegen attraktiv
machen
Die Bereitschaft, auch für etwas längere Wege das Fahrrad –
oder ein Elektrofahrrad – zu nutzen, soll gefördert werden:
Durch leistungsfähige und zügig befahrbare Fahrradschnellwege
und Fahrradstraßen, durch Radfahrstreifen, die das
Überholen zulassen, sowie durch ausreichend bemessene
Radverkehrsanlagen an Knotenpunkten und durch fahrradfreundliche
Ampeln.
Das Radrouten-Hauptnetz fertigstellen
Das im Endausbau 350 km umfassende FahrradroutenHauptnetz
ist das Rückgrat der Berliner Radverkehrsinfrastruktur.
Das Netz soll bis 2017 in gut befahrbarer Qualität
fertig gestellt und ausgeschildert werden.
und auch eine grobe Übersichtskarte der Routen. 2017 ist nicht mehr soooo weit weg, keine Ahnung wie weit die Umsetzung heute ist.

Im Senatsbeschluss zur Radverkehrsstrategie http://www.stadtentwicklung.berlin.de/v ... chluss.pdf findet sich u.a.:
Aufgrund der Zunahme des Radverkehrs muss sich die Planung vermehrt mit Mengenproblemen
auseinandersetzen. Bereits heute gibt es Engpässe an Knotenpunkten, bei
Fahrradabstellanlagen und bei der Mitnahme in öffentlichen Verkehrsmitteln.
Da hört sich ein schneller Radweg parallel zu den Gleisen nicht doof an. Weiterhin:
3.1.2Verlagerung auch von längeren Wegen auf das Fahrrad

Die durchschnittlich mit dem Fahrrad zurückgelegte Entfernung liegt in Berlin bei 3,7 km; nur
19 % der Fahrrad-Wege sind weiter als 5 km. Die Verlagerung auch weiterer Wege vom Auto
auf das Fahrrad, die durch neue technische Entwicklungen unterstützt wird, kann jedoch
überproportional zur Entlastung der Stadt von den negativen Folgen des Kfz-Verkehrs beitragen.
Die Radverkehrsstrategie setzt sich deshalb das Ziel, das Radfahren auf längeren
Wegen attraktiver zu machen, so dass sich die durchschnittlich mit dem Fahrrad zurückgelegte
Wegelänge bis 2025 um 25 % auf etwa 4,6 km erhöht. Die durch die Zunahme des
Radverkehrsanteils erreichbare Entlastungswirkung würde sich damit fast verdoppeln.


3.1.3Kombination von Fahrrad und öffentlichen Verkehrsmitteln

Die Fahrradnutzung hat in Berlin mit seinen oft großen Entfernungen stadtstrukturell bedingte
Grenzen. Umso wichtiger ist die Verknüpfung von Fahrrad und öffentlichen Verkehrsmitteln.
Die Radfahrer erhöhen dadurch ihre Reichweite, die öffentlichen Verkehrsmittel ihren Einzugsbereich
und damit die Anzahl ihrer Kunden, in vielen Relationen verkürzen sich die Reisezeiten.
Zurzeit nutzen in Berlin etwa 3 % der Fahrgäste von Bus und Bahn das Fahrrad für
den Weg zur oder von der Haltestelle; dieser Anteil ist auch vor dem Hintergrund der Erfahrungen
anderer Städte ausbaufähig. Die Radverkehrsstrategie verfolgt das Ziel, die Bedingungen
für eine Erhöhung des Anteils der kombinierten Wege auf 5 % zu schaffen.


4.2.3Das übergeordnete Fahrradroutennetz fertig stellen


Das im Endausbau ca. 830 km umfassende übergeordnete Fahrradroutennetz wird gebildet
aus zwölf Radial- und acht Tangentialrouten (Hauptnetz ca. 250 km), verdichtet durch sieben
Radfernwege (ca. 180 km) und bezirksübergreifende Ergänzungsrouten (ca. 400 km). Es
wird ergänzt durch den rd. 160 km langen Berliner Mauerweg. Etwa drei Viertel des geplanten
Fahrradroutenhauptnetzes sind schon gut befahrbar. Acht Hauptrouten und vier touristische
Routen sind bereits ausgeschildert. Der Umsetzungsstand ist von Bezirk zu Bezirk unterschiedlich. Manche Routenabschnitte sind so erfolgreich, dass über Kapazitätserweiterungen
nachgedacht werden muss.
Etc., etc.. Viele gute Gedanken, von der Umsetzung ist aber fast nirgends was zu bemerken.

Re: Radfahren in Berlin

Verfasst: Di Okt 13, 2015 11:34 am
von Pibach
berlinonaut hat geschrieben: Was wie schon gesagt ausser Dir niemand fordert.
Da offensichtlich schon, denn das ist ein Zitat.

Re: Radfahren in Berlin

Verfasst: Di Okt 13, 2015 11:49 am
von Pibach
berlinonaut hat geschrieben:
Aufgrund der Zunahme des Radverkehrs muss sich die Planung vermehrt mit Mengenproblemen
auseinandersetzen. Bereits heute gibt es Engpässe an Knotenpunkten, bei
Fahrradabstellanlagen und bei der Mitnahme in öffentlichen Verkehrsmitteln.
Das sind aber fast ausschließlich "Ausflugsradler". Im Sommer bei schönem Wetter und am Wochenende - da wollen viele ins Umland und dort mit Fahrrad etwas rumtouren. Das hat aber mit der Entlastung des Autoverkehrs im Alltag nicht viel zu tun, das ist doch genau der Punkt. Von den "Alltagsradlern" mit Fahrrad, sind das fast ausschließlich Studenten, denn nur auf deren Ticket sind Fahrräder kostenfrei. Und die haben auch meist kein Auto. Sonst machen das nur wenige, für das Fahrrad auch noch ein Ticket zu lösen - das rechnet sich gegenüber dem Auto dann eigentlich nie. Platz ist fast immer satt und genug, zumindest in den S-Bahnen. Und Fahrradmitnahme ist ziemlich selten. Wer das Rad mit in die S-Bahn nimmt, nimmt danach vrstl auch selten den Bus. D.h. in den Busstrecken wird dadurch Kapazität frei.

Entscheidend für den gänzlichen Verzicht auf das Auto, dürfte auch die Wintertauglichkeit der Konzepte sein. Sonst kann man sein Auto leider doch nicht ganz abschaffen.

Re: Radfahren in Berlin

Verfasst: Di Okt 13, 2015 7:45 pm
von Motte
Um das Auto stehen zu lassen, muss die Alternative etwas bieten, was das Auto nicht bietet.
Ich glaube nicht, dass es primär Zeitersparnis ist. Eher schon "Lebensgefühl" und Lebensqualität.
Im Auto bin ich abgeschottet von der Außenwelt, kann bestimmte Bereiche nicht spontan oder gar nicht erreichen und habe oft das Gefühl nicht adäquat vorwärts zu kommen. Dem kann das Rad etwas entgegen setzen.
Die Bahn oder der Bus eher weniger - es sei denn man ist Masochist und liebt enge Räume, Lärm, gammelige Wartezonen,strenge Gerüche und das Gefühl anderen ausgeliefert zu sein. :P

Re: Radfahren in Berlin

Verfasst: Di Okt 13, 2015 8:29 pm
von Pibach
Das ist ne Mischung aus alledem.
Problem bleibt aber, dass man das Auto nicht so leicht abschaffen kann. Wenn man es besitzt und sowieso die Fixkosten anfallen, wird es auch (zu viel) genutzt bzw. steht viel rum und verbraucht Fläche.

Ich schätze jedenfalls die meisten Alltags-Radler in Berlin haben gar kein Auto.

Re: Radfahren in Berlin

Verfasst: Di Okt 13, 2015 8:55 pm
von berlinonaut
Pibach hat geschrieben: Problem bleibt aber, dass man das Auto nicht so leicht abschaffen kann.
Doch, geht ganz leicht: Auto verkaufen, verschenken oder verschrotten - schon ist es weg. Also vielleicht besser "kann" durch "will" ersetzen... Das ist nämlich das eigentliche Problem. Die Zeiten, wo ein Auto nicht zu den Standardbesitztümern gehörte sind noch nicht so furchtbar lange her und da ging es ja auch. Schau Dir mal Fotos aus den 60ern aus Berlin an...
Pibach hat geschrieben:Ich schätze jedenfalls die meisten Alltags-Radler in Berlin haben gar kein Auto.
Von denen, die kenne haben 60-80% eines, meist wegen Familie bzw. Kindern.

Re: Radfahren in Berlin

Verfasst: Di Okt 13, 2015 9:39 pm
von Pibach
berlinonaut hat geschrieben: Von denen, die kenne haben 60-80% eines, meist wegen Familie bzw. Kindern.
Genau. Das ist einer der "nicht verzichten können" Gründe.
Der "Wille" ist bei vielen ja durchaus vorhanden.

Re: Radfahren in Berlin

Verfasst: Di Okt 13, 2015 9:52 pm
von berlinonaut
Pibach hat geschrieben:
berlinonaut hat geschrieben: Von denen, die kenne haben 60-80% eines, meist wegen Familie bzw. Kindern.
Genau. Das ist einer der "nicht verzichten können" Gründe.
Der "Wille" ist bei vielen ja durchaus vorhanden.
Relativ - zerbricht die Familie, wenn kein Auto mehr da ist? Wohl kaum. Es ist praktisck, einfach und komfortabel. Und bezahlbar. Ein "Muss" ist es nicht - schliesslich gibt es auch Familien ohne Auto und in Berlin ist das um Grössenordnungen einfacher als auf dem Land. Also "will", nicht "kann".

Re: Radfahren in Berlin

Verfasst: Di Okt 13, 2015 10:07 pm
von berlinonaut
http://www.tagesspiegel.de/berlin/studi ... 46204.html
Studie zur Mobilität in Berlin
Innenstadt: Hälfte aller Haushalte hat kein Auto

In der Innenstadt haben 52,6 Prozent der Haushalte kein Auto; weiter draußen sind es nur 33,7 Prozent, die ohne auskommen. (...)In der äußeren Stadt legen die Bewohner nur 9,8 Prozent der Wege radelnd zurück, während es im Zentrum mit 18,2 Prozent fast doppelt so viele sind. (...) Die Bewohner der äußeren Stadt nutzen das Rad wahrscheinlich weniger, weil ihre Wege in der Regel länger sind. Sie legen durchschnittlich 6,5 Kilometer zurück, während es im Innenbereich nur 4,8 Kilometer sind.(...)

Um das Radfahren auch über längere Distanzen attraktiver zu machen, hat man die Idee von Fahrradschnellwegen entwickelt – etwa auf der Trasse der ehemaligen Stammbahn aus dem Südwesten entlang der S-Bahn-Linie S 1 bis zum Potsdamer Platz, für die sich die Zehlendorfer CDU ausspricht.

Der Fachausschuss Mobilität der SPD hat eine Trasse entlang der stillgelegten Stettiner Bahn vom Nordbahnhof über Gesundbrunnen bis Pankow vorgeschlagen, die teilweise in den Mauerweg und den Fernradweg nach Usedom integriert werden könnten. Möglich seien auch Radschnellwege auf der Trasse der früheren Industriebahn von Wittenau nach Tegel sowie auf dem alten Güteraußenring von Lichtenrade nach Großziethen und Schönefeld.(...) Für Autofahrer will der Senat vor allem in den Außenbereichen neue Straßen bauen. Dort liegt der Anteil des Autoverkehrs bei 35,4 Prozent, während es in der Innenstadt nur 17,3 Prozent sind.

Re: Radfahren in Berlin

Verfasst: Di Okt 13, 2015 10:12 pm
von Pibach
berlinonaut hat geschrieben: Also "will", nicht "kann".
Naja, wie gesagt, das ist ne Mischung. Komfort, Zeit, Kosten, Familien- und Einkäufetransport. Und Gewohnheit.

Wenn Du die Fixkosten als Sunk Costs wegrechnest, liegt das Auto bei allen obigen Faktoren aber klar besser als ÖPNV. Und das Fahrrad ist vielen zw. Nov-April nicht wetterfest genug.

Und fürs abendliche (aufgebrezelte) Weggehen gibts auch Engpässe.