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Gabel aufbiegen - ja oder nein oder wie?

Es muss nicht immer gleich die Werkstatt sein. Do-It-Yourself!
EmilEmil
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Re: Gabel aufbiegen - ja oder nein oder wie?

Beitrag von EmilEmil »

Betrachten wir ein vereinfachtes Modell der Geometrie der Gabel : Die Scheiden mögen erstmal nicht schräg (ohne Verjüngung; in der Sicht von vorn auf die Gabel) zur Gabelkrone verlaufen , die anders als bei der Unicrown-Gabel nur durch ein quer und senkrecht am Gabelschaft und Gabelscheide angeschweißtes Rohr gebildet werde, dann erzeugt die Radaufstandskraft an der Gabelkrone ein Biegemoment . Dieses Biegemoment ( das versucht, an dieser Stelle seine Lagerung = Querrohr zu drehen) ist dann bezüglich des Querrohrs ein Torsionsmoment. Das Biegemoment ergibt sich daraus, daß der Radaufstandspunkt durch die Schrägstellung des Lenkkopfs und den Vorlauf einen Hebelarm zur Gabelkrone besitzt.
In der Wirklichkeit der Unicrown-Gabel gibt es vielleicht im "geraden" Teil der Gabelscheide eine Verjüngung und die Gabelkrone wird durch einen Bogen gebildet ( Die Gabel ist dann ein drei-dimensionales Bauteil). Hier laufen die Momente (ganz korrekt alle Belastungen *) ) quasi um die "Kurve"; dies ergibt über die Vektorielle Addition zB zwei Komponenten in Biegung und Torsion.
*) Bauteile, deren Querschnittsabmessungen gegenüber der dritten Abmessung ( "Länge") klein sind, werden als Träger bezeichnet. Entsprechend einem lokalen Achsensystem in x,y,z des Querschnitts ergeben sich 3 Kräfte und 3 Momente ( als Schnittlasten bezeichnet) :
( 1x Normalkraft, 2x Querkraft und 1x Torsionsmoment sowie 2x Biegemoment). Deformationen werden überwiegend durch Momente hervorgerufen, für die Spannungen (vorstellbar als ~ Druck in einem festen Körper, Richtungs-gebunden !) sollte man möglichst alle Komponenten kennen !
MfG EmilEmil
Zuletzt geändert von EmilEmil am Sa Mai 19, 2012 8:37 pm, insgesamt 2-mal geändert.
Mertom
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Re: Gabel aufbiegen - ja oder nein oder wie?

Beitrag von Mertom »

O.K. habe ich auch zu 95% nachvollzogen. Leider hilft das alles nicht wirklich wenn ich zurück zur Ausgangsfrage gehe. Man könnte Reaktionsmomente und Schubspannunnugen mit vektoriellen Additionen in lokalen Achsensystemen unter Berücksichtigung von Wechselfestigkeiten und Kerbwirkungen berechnen (nicht bös gemeint :)) wenn man weiss wie und den Aufwand macht und alle Daten der Gabel kennt was höchstens der Hersteller weiss und selbst der wird sich bei der Entwicklung nicht darauf verlassen sondern noch Belastungstests durchführen.

Man könnte auch sagen, "die paar mm", Belastungstoleranzen sind immer da und gut ist", wie Pibachs Bekannter wo nix passiert oder dem dann in 2 Jahren die Schweissnaht und der Schädel brichtt. Oder mir bricht die Gabel übermorgen wegen eines Materialfehlers ohne mein Zutun. Oder ich werde vom Auto überfahren…
EmilEmil
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Re: Gabel aufbiegen - ja oder nein oder wie?

Beitrag von EmilEmil »

Also Mertom,
nun sei nicht zu sehr verunsichert, denn Dein Problem wurde ja ernsthaft diskutiert und zur Beurteilung gewisser Einflüsse auf die Festigkeit gehört natürlich eine Portion Konstruktionspraxis.
Konstruieren heißt immer Entwerfen und Verwerfen oder Beibehalten. Das letztere nur, wenn man der Ansicht ist, daß man der Aufgabe gerecht geworden ist.
Wenn Du meine Hinweise befolgst, kannst Du es machen.
Wenn Du aber einen verzagten Hintern hast, aus dem bekanntlich kein fröhlicher Furz fährt, dann laß es.
Die Fraktion der Bedenkenträger ist in Deutschland überproportional groß !
Aus dem Stadium des Blauäugigen ( oder Blondem , vielleicht beidem) "Passt schon,Wird schon ,Paar mm sind immer drin" sind wir aber auch heraus.
Mein Ratschlag, es zu lassen, beruht nicht auf Festigkeits-Überlegungen, sondern auf dem großen Aufwand, den man machen muß.
Zitat @EmilEmil
"Erst sage ich Dir , wie man eine Gebel aufbiegt, und dann, warum es bei der Front-Gabel nicht sinnvoll ist"
Das ist nun meine finale Ansage, die Entscheidung liegt eh bei Dir und das Rest-Risiko geht auch auf Deine
Kappe.
MfG EmilEmil
Mertom
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Re: Gabel aufbiegen - ja oder nein oder wie?

Beitrag von Mertom »

Hallo Emil.

Sonst bin ich schon risikofreudig. jedoch wenn die Aussicht im Raum steht, nach vorne über den Lenker zu fliegen ist das schon was Anderes.

Also wenn ich das richtig verstanden habe ist dein Rat, wenn überhaupt, die Gabelrohre mittels Gewindestange bleibend plastisch zu verformen und dabei die Schweissnaht zu entlasten. - Das hiesse aber die Ausfallenden wie ich beschrieben habe auf sehr kurzer Distanz zu biegen und danach wahrscheinlich noch mal ein Stück zurück, um sie parallel zu bekommen, was mir überhaupt nicht gefällt. Eine Konstruktion mit Holzprofil o.Ä., die stattdessen nur am Rohr ansetzt wäre nötig, Ähnliches an der Krone aussen um die Schweissnaht zu entlasten. Das ist dann tatsächlich ein erheblicher Aufwand und sehr knifflig. Deine Erfahrungen mit Stahl sind wohl auch nur begrenzt auf die Alu-Gabel übertragbar, wegen der Unterschiede in Streckgrenze des Materials, Querschnitt und Wandstärke. Also habe ich vorher keinen Anhaltspunkt wie weit ich etwa biegen muss um die entsprechende Dehnung zu erreichen.

Trotzdem sind deine Beiträge sehr aufschlussreich, aber mein Entscheidungsprozess wird wohl noch eine Weile andauern. Zum Glück eilt es nicht und vielleicht findet sich auch eine passendere Gabel oder ein neuer, etwas schmalerer Motor.
Pibach
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Re: Gabel aufbiegen - ja oder nein oder wie?

Beitrag von Pibach »

Mertom hat geschrieben:...oder ein neuer, etwas schmalerer Motor.
Das wird wohl nicht gehen, denn neben dem Motor ist auch noch das Getriebe und das ganze ist schon kritisch eng.
EmilEmil
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Re: Gabel aufbiegen - ja oder nein oder wie?

Beitrag von EmilEmil »

Wenn man ein rotes Fahrrad hat, und die Farbe nicht zu den Blauen Bergen passt, kann man natürlich auch die Berge in roter Farbe anstreichen....

MfG EmilEmil
EmilEmil
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Re: Gabel aufbiegen - ja oder nein oder wie?

Beitrag von EmilEmil »

Eine kleine Aufklärung über den Werkstoff Aluminium-Legierung.
Es geht hier als Beispiel um EN AW 6060 (AlMgSi0,5)
Die 0,2-Streckgrenze (Rp0,2) ist (160-230 ) N/mm²
Die Zugfestigkeit (Rm) ist 215-260 ) N/mm²
Die Bruchdehnung A5 (12-26) %
Dieser Werkstoff ist dem im Radl-Rahmenbau häufig verwendeten EN AW 6061 verwandt. 6061 hat etwas höhere Festigkeiten von Rp0,2 = 240 N/mm² und Rm = 290 N/mm² bei leichter Einbuße in der A5-Dehnung.
A5min = 10 % . Die "5" bezieht sich auf die Abmessungeng des Probestabes. Durchmesser ist 5 x Länge.
Eine max Bruchdehnung habe ich in diversen Unterlagen nicht gefunden, leider auch keine Gleichmaßdehnung.
Ich will noch auf den Begriff Gleichmaßdehnung (Ag) hinweisen:
Die Gleichmaßdehnung entspricht in der Zuordnung der Zugfestigkeit. Nach Erreichen der Zugfestigkeit schnürt sich der Werkstoff ein und dehnt sich weiter bis zum Bruch. Erst die Einschnürung macht sichtbar, daß es 5 vor 12, oder besser 5 nach 12 ist, was das Versagen des Bauteils betrifft. Wenn die Gleichmaßdehnung 10 % beträgt und die Bruchdehnung 20 % kann man Versagen erkennen, solange die kritische Stelle nicht verdeckt ist.(Man hat ja noch zusätzliche 10 % Dehnung, bevor die Katastrophe im finalen Stadium ist !).
Leider werden so wichtige Werte meist nicht angegeben und ich hege berechtigte Zweifel, daß die Rahmen-Hersteller diese Werte kennen und damit umzugehen wissen.
Das folgende Bild zeigt einen 8 mm Rundstab, 2 x 90 °gebogen mit einem Rohrbieger. Biegeradius 25 mm. Die gerechnete Dehnung (Stauchung) beträgt 20 %.
Bild
[/img]
Der Werkstoff ist offenbar so gut, daß er bei der Bruchdehnung nahe an dem oberen Bestwert liegt. Von ca 30 Biegungen konnte nur eine wegen Bruchs des Werkstücks (Und das war ein Rohr mit 1 mm Wanddicke)nicht vollendet werden ! Bei einem dünnwandigen Rohr gibt es nichts, was überdehnte Randfasern großartig stützen könnte !
Bei einer Anwendung (Aufbiegen) auf Radl-Rahmen ist es angebracht, den Biegeradius groß genug zu haben , daß die Dehnung die 10 % Minimum nicht nur nicht überschreitet, sondern mit einer Sicherheitsmarge Abstand hält . 5 % Dehnung sollten da ein Richtwert sein. Wenn ich am Ausfallende aufspreize, erhalte ich eine lineare Biegemoment-Verteilung bis zu einer "natürlichen Einspannstelle" (Höchstwert). Die Einspannstelle liegt bei der Vordergabel an der Gabelkrone und bei dem Hinterbau an evtl. vorhandenen Stegen (und dann weiter am Sitzrohr-Anschluß). Um vorhandene Fügestellen (Schweißnähte,Lotstellen usw) nicht zu überlasten, sorge ich für eine temporäre Einspannung, die jegliche Deformation von den Fügestellen fernhält. Also Biegung in dem nahezu geraden Teil der Gabelscheiden oder Hinterbau-Streben . Die üblichen Gabel oder Hinterbau-Abmessungen und die Begrenzung der Klemmweiten-Verbreiterung (< 30 mm) sorgen dafür, daß hinreichend große Verformungsradien entstehen.
Nun hab ich mal überschlagen : Bei seitlicher Spreizung einer Gabelscheide von 15 mm und einer durch die Einspannung der Gabelscheiden knapp unterhalb der Gabelkrone zur Verfügung gestellten Umformungslänge von 230 mm (20" Gabel) benötige ich unter Annahme einer Sinus-förmigen Umformungs-Figur 0,77 % bleibende Dehnung. Der entstehende Biege-Radius beträgt 1,43 m !
Umformungs-Figur y = a * sin (bx) mit a = 15 mm ; b = 1/230 mm
Scheitel-Radius ro = 1/(a*b²) Gabelscheiden-Durchmesser 22 mm
Die Dehnung kann ich dann durch den Vergleich der drei Radien abschätzen :
Innen Ri = ro - 11 mm = 1,419 m ;
Biegeradius (ungelängt) ro = 1,43 m ; ro = 1430 mm ;
Außen : Ra = ro + 11 mm = 1,441 m ;
Die Dehnung zB außen ist dann die Verlängerung außen bezogen auf die Ausgangslänge.
(2 * Pi * Ra - 2 * Pi * ro ) / (2 * pi * ro) = 11 mm / 1,43 m = 0,0077 = 0,77 %
Vorraussetzung dafür ist ein monoton ( bis Rm) ansteigendes Spannung-Dehnung-Diagramm des Werkstoffs.
Ist die Spannung-Dehnung-Kurve im "plastischen" Bereich zu flach, kann sich ein plastisches Gelenk ausbilden. Der Unterschied zwischen Rp0,2 und Rm ist ein Hinweis für den erforderlichen Anstieg. Ideal ist natürlich, wenn man ein Spannung-Dehnung-Diagramm hat. Leider habe ich keinen Meßschrieb, sondern nur ein schematisches Diagramm. Trotz aller Mühen und dem Besuch in einer professionellen Datenbank.
Bild
[/img]
Es ist deshalb ziemlich egal, ob ich Stahl-Rahmen aufbiege oder Aluminium-Rahmen ( Vorausgesetzt natürlich, daß der Werkstoff bestimmte Eigenschaften hat wie zB ausreichende Bruchdehnung A, ausreichende Gleichmaßdehnung Ag, sowie einen Abstand der Rp0,2 Grenze zum Rm-Wert).
Ein Material, bei dem Ag und A praktisch zusammenfallen, bricht sofort, wenn die Maximallast erreicht ist.

MfG EmilEmil
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