berlinonaut hat geschrieben: ↑Di Apr 11, 2017 2:16 pm
Auch während dieser Schwerpunktwoche war es btw. mal wieder so, dass die Anzahl der von mir im Alltag wahrgenommenen Verstösse nur ein Bruchteil der sonst üblichen war - die Kontrollen waren ja von langer Hand angekündigt, entsprechend verhielten sich weite Teile der Verkehrsteilnehmer lammfromm, egal ob da eine Kontrolle war oder nicht. Nach der Aktionswoche war schlagartig alles wieder wie vorher. Das gleiche konnte man im letzten Jahr bei der Aktionswoche "Busspurparker" beobachten.
(...)
Vor diesem Hintergrund erschrecken die Zahlen oben btw. noch mehr: Kann und sollte man doch davon ausgehen, dass ein relevanter Teil der Autofahrer sich auf die Aktionswoche eingestellt hatte, die Zahl der Verstösse ansonsten also erheblich höher ist...
Dafür fand sich just ein Nachweis: Gestern war mal wieder europaweit "Blitzermarathon", d.h. die Polizei blitzte angekündigterweise 24h lang europaweit Autofahrer. Traditionell wird ein Teil der Kontrollstellen (teilweise auch alle) ebenfalls im Vorfeld angekündigt. Die Berliner Polizei machte dieses Jahr nicht mit beim Marathon, da:
Im April 2013, bei der ersten Teilnahme Berlins am Blitzermarathon, hatte Polizeipräsident Kandt noch gelobt, "dass das Geschwindigkeitsniveau auf den Straßen Berlins spürbar niedriger ist als an einem normalen Werktag".
Dieser Effekt allerdings war regelmäßig am nächsten Tag verpufft.
(...) Der GdP-Bundesvorsitzende Oliver Malchow hatte sie mal eine "PR-Aktion ohne nachhaltigen Effekt auf die Verkehrssicherheit" genannt. Notwendig sei eine kontinuierliche Verkehrsüberwachung - dafür fehle der Polizei aber Personal.
"Nicht angepasste Geschwindigkeit" ist in Berlin die dritthäufigste Unfallursache. In Städten mit dichtem Verkehr sind naturgemäß Abbiege- und Vorfahrtsfehler die Hauptunfallursachen. Zu hohes Tempo ist allerdings im vergangenen Jahr deutlich, nämlich um elf Prozent angestiegen. Gemessen wurden in Berlin im Jahr 2016 knapp zwölf Millionen Kraftfahrzeuge, 500.000 mehr als im Jahr zuvor. Nur knapp 5 Prozent der gemessenen Fahrzeuge waren zu schnell. Ein Grund für diesen extrem niedrigen Wert ist, dass viele Autofahrer automatisch bremsen, wenn vor ihnen ein Autofahrer die Kontrolle mit dem Handlaser bemerkt und langsamer wird. Zudem toleriert die Polizei bekanntlich selbst in einer 30er-Zone Tempo 38. Gestoppt werden Autos erst ab 39 km/h.
Wie es um das Temponiveau in der Stadt tatsächlich bestellt ist, zeigen Zahlen von einer Kontrolle mit verstecktem Blitzer: Am Karfreitag hatte ein ziviler Blitzer sich zwischen 7.30 Uhr und 12 Uhr in der Seestraße aufgestellt. Deutlich mehr als die Hälfte war zu schnell, nämlich 652 von knapp 1200 gemessenen Fahrzeugen.
http://www.tagesspiegel.de/berlin/poliz ... 79884.html
Beängstigend und erschreckend. (Wobei man der Fairness halber dazu sagen sollte, dass die Seestrasse in die Stadtautobahn übergeht und speziell auf dem letzten Stück davor/danach auch bebauungsbedingt zu etwas erhöhter Geschwindigkeit animiert. Je nachdem wo da genau geblitzt wurde ist das daher mehr oder weniger dramatisch.) An dem dramatischen Unterschied von 5% Überschreitungen bei angekündigten Kontrollen vs. 55% bei nichtangekündigten ändert das nicht wirklich was, selbst wenn aus dem Faktor 1100% an einer anderen Messstelle z.B. angenommene "lediglich" 800% würden (was ja beileibe nicht sicher ist)...
In einem Artikel über den Blitzermarathon konstatiert die Süddeutsche:
Viele Autofahrer empfinden Bußgelder als ungerechtfertigt. Sie nehmen die Strafe als Kritik an den eigenen Fahrkünsten wahr - und fühlen sich gekränkt. (...)
Weniger erfindungsreiche Fahrer schimpfen dagegen, Kontrollen seien nichts als Abzocke. Der Vorwurf wird auch an diesem Mittwoch die Runde machen (...)
Fehlt ertappten Rasern etwa das Unrechtsbewusstsein? Das nun vielleicht nicht - nach Ansicht von Experten mangelt es vielen Fahrern eher an einer gesunden Selbsteinschätzung. Sie reklamieren für sich, hinter dem Steuer besser als der Durchschnitt zu sein. "Man hat den Eindruck, alles im Griff und unter Kontrolle zu haben", erklärt der Verkehrspsychologe Mark Vollrath von der TU Braunschweig (...) "Das Risikoempfinden fehlt oft", sagt Vollrath. Ein Bußgeld kann dann Gefühle der Kränkung auslösen, wird als ungerechtfertigter Tadel empfunden oder als Kritik an den Fahrkünsten.
http://www.sueddeutsche.de/auto/blitzma ... -1.3468115
Mir scheint, das lässt sich 1:1 auf die Pibach'sche Argumentation mappen...
PS: Auf meinem Nachhauseweg gestern Abend habe ich mal mitgezählt. Er war recht kurz und führte zu gleichen Teilen über mehrspurige (aber schummrig beleuchtete) Hauptstrassen und sehr schlecht bis gar nicht beleuchtete Nebenstrassen. Mir sind ~25 Radler begegnet. Von diesen hatten drei Licht vorne (aber keins hinten), einer hatte eins hinten (aber keins vorne) und der Rest hatte gar kein Licht. Von denen wiederum hatten immerhin drei Beleuchtungsrudimente in Form von Pedal- und oder sonstigen Reflektoren. Der Rest hatte gar nix (und war durchgängig schwarz gekleidet). Hat sie nicht davon abgehalten, trotz roter Ampel zügig Kreuzungen zu queren, auf automässig gut befahrenen Hauptstrassen ohne nach hinten zu gucken andere, ebenso unbeleuchtete Radler zu überholen etc.. Ab ca. knapp 20m Entfernung waren die betreffenden Radler selbst auf den Hauptstrassen nicht mehr zu erkennen. Ich kam mir also recht exotisch vor auf meinem vom Nabendynamo vollilluminierten Brommi.
Kann mir keiner erzählen, dass das Weglassen von Licht am Rad im Dunkeln der Sicherheit dient und einen erfahrenen Radler kennzeichnet... Die Licht-Quote gestern war übrigens selbst für Berliner Verhältnisse aussergewöhnlich schlecht.